Kennen sie das? Man redet sich den Mund fransig und am Ende machen die Leute doch das, was sie schon immer gemacht haben: nämlich das kaufen, was sie kennen. Die Bereitschaft etwas Neues auszuprobieren, geschweige denn es auch noch gut zu finden, ist…sagen wir’s mal diplomatisch, ein rares Gut.

Nein, natürlich gibt es nicht DIE Leute! Fragen wir Konsumforscher, bekommen wir vielmehr 1000 Bedingungen dafür, wann welche Zielgruppe was und weshalb zu welchem Preis kauft. Unterm Strich steht jedoch: Vermeintlich „Neues“ ist und war schon immer mal wieder da, muss aber immer zu mindestens 80 Prozent gleich und somit bekannt sein, um angenommen zu werden.

Ihr Wein darf also von Jahr zu Jahr um höchstens 20 Prozent von dem abweichen, was Ihre KundInnen von Ihnen kennen? Ja, diese Abweichung kann man genau quantifizieren und messen. Food- und Produktdesigner achten akribisch darauf: Unter 20 Prozent Abweichung merkt‘s die Kundschaft nicht; erst recht nicht, wenn´s schleichend geht. Beträgt die Abweichung aber mehr als 20 Prozent, wird es auffallend. Und sofort wird das Produkt mit Skepsis belegt und nicht mehr gekauft.

KundInnen von etwas Neuem zu überzeugen, also wie auch immer geartete Argumente anzuführen, scheint vergebene Liebesmüh. Wenn die Überzeugungsabsicht auch noch moralisch, politisch – oder womöglich gar lobbyistisch – anmutet, ist der Ofen gleich ganz aus. Widerstand und Ablehnung sind dann vorprogrammiert, ganz egal, wie bereichernd das neue Produkt auch sein mag.

Never touch a running system. Im Ernst jetzt?

Noch besser finde ich die Aussage „If it ain’t broken, don’t fix it”. Frei übersetzt: Wenn`s nicht kaputt ist, reparier´s nicht. Finger weg! Haben wir immer schon so gemacht! Der neumodische Kram kommt mir nicht ins Haus… und so weiter und so fort. Heißt das, man muss erst dann tätig werden, wenn´s nicht mehr läuft? Also ich weiß nicht, wie’s Ihnen geht, aber meiner Erkenntnis nach ist es dann meist schon viel zu spät.

Nun habe ich oben allgemein von „Produkten“ gesprochen. Viel komplexer sieht es bei Lebensmitteln, Genussmitteln und besonders bei Wein aus: Dass es sich bei einem Wein um einen Wein handelt, ist möglicherweise auf einen Blick erkennbar. Aber eben nicht, worin sich Wein A im Detail von Wein B oder C unterscheidet. Und genau darauf kommt es ja bei dieser Produktgruppe besonders an. Lemberger kann jeder, aber der Unterschied macht‘s! Gemessen wird das in der Reproduktion oder der Wiederholbarkeit. Und die liegt beim Wein unter 20 Prozent, weil es unglaublich viele Varianten gibt. Die Variabilität spielt sich aber innerhalb der 20 Prozent ab, wo sie sowieso niemand mitbekommt. Was für ein Paradox!

Warum erlauben wir uns nicht, die 80 Prozent herauszuarbeiten, wie es unsere Nachbarn in Frankreich, Italien oder Spanien tun?

Hier liegt der Schwerpunkt des Weines nämlich auf dem Terroir, also der Herkunft der Lage und dem eigenen Weinberg und nicht im technischen Verständnis im Keller oder der vielbeschworenen Sortentypizität.

Argumente überzeugen nicht, sondern Menschen: Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, es satt haben, alle angeblich wichtigen Attribute für einen guten Wein erfüllen, jeder Empfehlung hinterherhechten zu müssen – und dann immer noch das Gefühl zu haben, es sei noch nicht ganz ausreichend, dann fangen sie endlich an, authentische Weine herzustellen. Weine, die nur Sie so machen, von Trauben, die aus Ihrem Weinberg oder Wingert kommen und somit einzigartig sind. Sie sind niemandem verpflichtet, außer sich selbst. Gute handwerkliche Praxis vorausgesetzt, machen sie das, wovon Sie und nur Sie überzeugt sind. Bei geringstem Zweifel an bestimmten Maßnahmen: Lassen sie sie weg! Nur weil jemand diese Maßnahmen von ihnen erwartet – aus fachlichen, moralischen, politischen oder sonst wie gearteten Gründen: Lassen Sie sie weg!

Sie müssen hinter ihrem einmaligen Produkt stehen. Dann können ihnen alle Tests und Untersuchungen, die sie in diese oder jene Richtung drängen, getrost den Buckel runter rutschen. Sie entscheiden, was guter Wein für sie bedeutet. Sie haben es in der Hand vorzügliche Individualität vorherrschen zu lassen. Seriöse BeraterInnen werden Sie darin unterstützen. Wirklich gute, nicht genormte Testverfahren werden Sie auf ihrem Weg unterstützend begleiten und sie wohlwollend korrigieren; es ihnen dabei aber sicher nicht recht machen. Diese Testverfahren werden Ihre Positionierung im internationalen Vergleich spiegeln, und das begründet. Und aufgeschlossene Genussmenschen werden Ihnen ob Ihrer Integrität die Füße küssen – dafür, dass sich ihre persönlichen Überzeugungen, Maßstäbe und Wertvorstellungen in ihrem Wein wiederfinden lassen.

Der richtige Weg…oder nicht?

Die Mehrzahl der deutsche WinzerInnen macht all das nicht. Es wird versucht, es allen recht zu machen. Zuerst dem Gesetzgeber, dann DEM Konsumenten, den es so gar nicht gibt, dann dem Labor, dann der Beraterin, dann der Familie, dann der Bank… Und ganz zum Schluss bleibt mit etwas Glück ein kleiner Teil vom Wein über, der ganz allein seiner Erzeugerin oder seinem Erzeuger gehört. Wenn Sie Pech haben, gehen Sie diesen Weg ein ganzes Leben lang. Zerrissen, mit dem Gefühl es bei allen Bemühungen nicht bis zum Ziel geschafft zu haben, wie auch immer das aussehen mag.

Fruchtig, klar, brillant, sauber und dicht müssen die Weine sein – und dabei noch billig. Trocken steht drauf, süß ist drin; leicht und süffig ist die Vorgabe, um von möglichst vielen Menschen als gut empfunden zu werden. Ein bisschen Statistik: Fruchtig verkauft sich in Deutschland 80ig mal besser als nicht fruchtig! Also müssen fruchtige Weine her, egal zu welchem Preis. Das haben wir jetzt 50 Jahre in Deutschland geübt und 80 Prozent der WinzerInnen, der Meinungsmachenden und Konsumierenden sind der Ansicht, das sei der richtige Weg.

Doch es gibt noch einen anderen, nämlich den der Originalität, des kontrollierten Nichtstuns: „Bei uns wird der Wein im Weinberg gemacht“, hört man allenthalben. Dieser Wein schmeckt jedes Jahr anders und entspricht der großen Vielfalt, die dem Produkt von Natur aus innewohnt, ist aber nicht normkompatibel. Nicht blinder Aktionismus hat hier das Sagen, sondern ein wissentliches Sich-drauf-einlassen. Und eine Philosophie des Begleitens satt Stabilisierens.

Diese Weine polarisieren sind dabei einzigartig.

Wenn sie jetzt das Gefühl haben, ich würde als Schreiber die zweite Form der Stilistik bevorzugen, kann ich Ihnen sagen, dass diese Art zu Denken nicht die meinige ist. Es ist gut, dass es diese große Vielfalt gibt. Ein paar Grundregeln gibt es für mich allerdings: möglichst nachhaltig, ohne Gift und Gewässerbelastung erzeugt, dafür mit hoher Biodiversität und einem ebenso hohen Spaßfaktor einhergehend, all das sollen Weine sein.

Denn mit allem anderen wollen wir uns nicht die Leber schädigen.

Sehr zum Wohl,

Es grüßt Euch Martin
Quelle:  Martin Darting – WINE System